Ein Beitrag von Maya Pasdika
Wir befinden uns im Jahre 2021 n. Chr. Ganz Academia befindet sich weitestgehend im Lockdown… Ganz Academia? Anders als bei der berühmten Asterix-Einleitung fällt hier die Antwort ernüchternd aus: Leider ja! Traurige Perspektiven für das universitäre Gallien und das, obwohl sich mittlerweile Öffnungen bemerkbar machen. Ein Mitglied der Initiative #NichtNurOnline zieht Resümee – über die digitale Leere und politische Inkompetenzkompensationskompetenz.
Breakout-Sessions, digitale Meetings, Zoom-Fatigue – das sind aktuelle Symptome der universitären Stunde, natürlich cum tempore. Vielerorts ersetzen sie das eigentliche Präsenzformat, so auch an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nur wenige der Student*innen haben die Kamera während der Vorlesungen angeschaltet, die meisten bleiben durchgehend schwarz. In diesem digitalen „Leerraum“ ist es schwer, eine Verbindung zu den Mitstudierenden aufzubauen, geschweige denn ein kollektives Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Dabei lebt die seit Jahrhunderten bestehende altehrwürdige akademische Lehre von ihren Zwischenräumen, den Bibliotheken, Mensen, Fluren und Gängen, den Seminarräumen und Hörsälen. Hier entsteht normalerweise das universitäre Leben, das Netzwerk an lebendigem Wissen, kritischer Meinungsbildung und demokratischer Oppositions-funktion. Seit mehr als einem Jahr nun befindet sich diese vielfältige Gruppe, bestehend aus alten, jungen, armen, reichen Akademiker-, Non-Akademiker*innen, international Studierenden – kurzum: VIEL Geistreichtum – in der Isolation und das in ganz Deutschland. Wie die meisten damit zurechtkommen?
Sicher ist sich da niemand. Was dagegen sicher ist, sind erhöhte finanzielle Schwierigkeiten und gestiegene Depressionsraten unter den Studierenden.
Fazit: Allein in den eigenen vier Wänden, vereinzelt hinter Bildschirmen, ausschließlicher Digitallehre mit wenig Austausch und kaum Reibung – so kann ganz sicher kein vernetztes Denken entstehen.
Corona heute, Bildung morgen?
Seit Beginn der Pandemie besteht der Verdacht: Eine ganze Klasse der Gesellschaft – so groß wie Hamburg und Köln zusammen – wurde in der öffentlichen Debatte vergessen. Um Konzepte zur Unterstützung der Studierenden schien sich bis vor kurzem tatsächlich niemand Gedanken gemacht zu haben, bis sich Anfang Februar die Studierendeninitiative #NichtNurOnline formierte, um der Leerstelle im gesellschaftspolitischen Diskurs ein Ende zu setzen. Mit Erfolg. Kaum entstand ein Offener Brief an die Berliner Hochschulleitungen und eine Online-Petition zur Wiederaufnahme der Präsenzlehre, gab es auch schon unzählige Gleichgesinnte, die sich der Forderung anschlossen. Mittlerweile haben sich auch in vielen weiteren Städten Deutschlands Studierendeninitiativen gegründet, die sich ebenfalls für so viel Präsenzlehre wie möglich und so wenig Digitallehre wie nötig unter Einhaltung entsprechender Hygienemaßnahmen einsetzen. Und nicht zuletzt durch den Druck der Studierenden selbst sind nun tatsächlich Öffnungsschritte für Universitäten im Gange. Es bleibt aber weiterhin Vieles ungeklärt, zum Beispiel wie die operative Umsetzbarkeit von „Blended Learning“- Formaten konkret vonstattengehen kann. Unsicher ist auch, wie das folgende Wintersemester auszusehen hat. Hier liest man einerseits, die Planung sei noch in Planung (mehr als vage!), andererseits heißt es, das kommende Semester sei größtenteils erneut digital. Aber auch nur für manche Fachbereiche. Verwirrend, widersprüchlich? Ja!
Der Ausdruck der Inkompetenzkompensationskompetenz, den der Philosoph Odo Marquard polemisch der Philosophie der Gegenwart zuschreibt, scheint ebenso auf die Koordination zwischen Länderpolitik und Hochschulleitungen während der Pandemie zuzutreffen. Problematisch ist vor allem, dass im Wirrwarr der Kompetenzkompensation die zwei wichtigsten Dinge verloren gehen: Gute Bildung und, vor allem, die Studierenden selbst.
Die Universität darf nicht in eine posthumane Informationsvermittlungsmaschinerie abdriften. Gleichsam wäre es naiv zu glauben, dass sie zu einem archaischen Gallien gleich vor Corona zurückkehren kann. Es ist jetzt der Zeitpunkt, um längst überkommene Bildungsideale bewusst zu formen, gemeinsam auszubessern und mitzugestalten. Die beste aller möglichen Bildungswelten kann schließlich nur eine sein, in der der verantwortungsvolle Einsatz von Digitalformaten öffentlich mitdiskutiert und kritisch reflektiert wird. Was es nun benötigt, ist der moderne Zaubertrank reflexiver Kreativität, der die Academia zwar nicht unbeugsam macht, aber unbeugsam genug, um in einer digitalen Revolution die Menschlichkeit zu bewahren.
Maya Pasdika ist Mitorganisatorin der Studierendeninitative #NichtNurOnline und Delegationsmitglied der Unica Student Conference 2021 „Transforming Your University in the post COVID-19 age“. Sie studiert Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Kulturwissenschaften an der Fernuniversität in Hagen.
Die Online-Petition für die Wiederaufnahme der Präsenzlehr an Berliner Universitäten findest du hier.
Mittlerweile gibt es auch einen Offenen Brief an bundesweite Bildungspolitiker*innen, denen sich studentische Initiativen aus ganz Deutschland angeschlossen haben. Den Link dazu findest du hier.
Du willst einen direkten Einblick in die internen Strukturen von #NichtNurOnline bekommen und vielleicht selbst aktiv werden? Dann besuche uns in unserer Telegram-Gruppe: https://t.me/joinchat/WEr28IH7RWMbBahv
Hier findest du alle weiteren Infos zur Studierendeninitiative #NichtNurOnline:
Für Interviews und weiteren Anfragen schreibe uns eine Mail an: nichtnuronline@gmail.com
Du bist nicht aus Berlin und möchtest dich zu Ortsgruppen in deiner Nähe informieren, die sich ebenfalls für mehr Präsenzlehre an deiner Universität einsetzen? Dann komm in die Whatsapp-Vernetzungsgruppe: https://chat.whatsapp.com/Fs9zomc7MJg97iadAL4OId
Im Podcast erwähne ich außerdem die diesjährige Unica Student Conference, die sich auf europäischer Ebene für eine Transformation der Universitäten nach der Corona-Pandemie einsetzt. Alle Infos unter: